Samstag, 3. Dezember 2016

Patty Blount: "Send"

Was Mobbing bedeutet, weiss Dan zu genau: Vor fünf Jahren hat der nun 18jährige Dan ein kompromittierendes Foto seinen 12jährigen Mitschüler Liam online gestellt, der ein andauerndes Opfer der Attacken diverser Jugendlicher war. Nachdem Liam kurz darauf Suizid beging, wurde Dan vor Gericht gestellt und zu nahezu einem Jahr Jugendarrest verurteilt.
Liams Vater hat Rache geschworen und Dan seit dessen Freilassung kontinuierlich nachgestellt, so dass Dans Familie inzwischen bereits mehrfach den Wohnort gewechselt hat, bis sie inzwischen sogar auch ihren Namen wechselte und fortan unter neuer Identität lebt.

Am wiederum ersten Tag an einer neuen Highschool beobachtet Dan, wie ein Mitschüler grob von einem Anderen angegriffen wird: Er geht dazwischen – und gerät so selbst in den Fokus des augenscheinlich mobbenden Jeffs.
Auch die Mitschülerin Julie wird auf ihn aufmerksam – und abgesehen davon, dass sie denselben Nachnamen wie Liam trägt, verspürt Dan ein diffuses Angstgefühl und meint zu ahnen, dass Julie weiss, dass sein richtiger Name nicht Dan ist.
Dennoch freunden sich Dan und Julie mehr und mehr an, wobei Julie ebenso häufig vor Dan zurückzuweichen scheint wie auch er auf Distanz zu gehen versucht, denn er wird doch nie ein normales, offenes Leben führen können, als Mörder, der auf der öffentlich einsehbaren Sexualstraftäterliste steht.

Weiterhin wird Dan zunehmend besorgter um Brandon, das Opfer von Jeffs Angriff an Dans erstem Schultag, der allgemein ausgeschlossen wird, und in welchem Dan Liam wiedererkennt. Fortan ist Dan auf einer Mission: Er will verhindern, dass Jeff es so weit treibt, dass er letztlich mit denselben Vorwürfen kämpfen muss, die sich Dan seit Jahren macht. Und vor Allem will er verhindern, dass Brandon wie Liam Selbstmord verübt, wobei es scheint, als würde sich Brandon viel mehr auf einen grossen Rachefeldzug vorbereiten …

Patty Blount: „Send“


Nachdem mich zuvor Patty Blounts „Some Boys“ sehr begeistert hatte, konnte ich nicht widerstehen, sogleich ein weiteres Buch Blounts zu lesen; meine Wahl fiel auf „Send“, nicht zuletzt, weil ich es schon interessiert angelesen hatte, nachdem sich im Anschluss an „Some Boys“ das erste Kapitel von „Send“ als Leseprobe wiederfindet.
Wie „Some Boys“ ist auch „Send“ durchaus als Schullektüre geeignet; auch hier werden im Anhang wiederum einige Fragen bezüglich der Handlung als Diskussionsgrundlage geboten, sofern man sie als „Einzelleser“ nicht dazu nutzt, selbst das Gelesene nochmals genauer zu reflektieren.

Aber ich muss zugeben, dass mir „Some Boys“ doch noch deutlich besser gefiel, obschon ich „Send“ nun ebenfalls nicht schlecht fand. „Some Boys“ fand ich jedoch nachdrücklicher und eindringlicher.

„Send“ wird ausschliesslich von Dan erzählt; die Geschichte setzt mit Dans Ankunft an seiner neuen Highschool ein, wo er sogleich mit der Fehde zwischen Brandon und Jeff konfrontiert wird. Hier geht Dan sogleich auf Abwehrhaltung gegenüber Jeff und in den Verteidigungsmodus bezüglich Brandons, wobei er häufig dahingehend angesprochen wird, dass Jeff durchaus seinen Grund hat, auf Brandon loszugehen. Aber dies ist für Dan gänzlich irrelevant; er hinterfragt das Mobbing auch nicht deutlich, sondern will es einfach nur „abstellen“.
Erst zum Ende hin wird Dan und somit auch dem Leser deutlich, was Jeff antreibt und sein „Motiv“ ist nachvollziehbar, macht ihn aber dennoch nicht zum grossen Sympathieträger: Man versteht, dass Jeff nicht gut auf Brandon zu sprechen ist, aber es bleibt unbestritten, dass hier eine recht übertriebene Hetzkampagne stattfindet.

Absolut bedauerlich fand ich jedoch, dass von Anbeginn des Romans durchklang, dass es sicherlich einen Grund für die Attacken gegenüber Brandon geben müsste – als könne es gar nicht sein, dass jemand mal „einfach nur so“ gemobbt werden würde und als müsse ein Mobbingopfer zuvor ganz sicher irgendein Fehlverhalten an den Tag gelegt haben.
Eher beiläufig eingebracht wurden Dans Beobachtungen, dass auch hier niemand je einzugreifen vermochte und man sich im Allgemeinen viel eher am Mobbing beteiligte. Auch in seinem persönlichen Fall war es so, dass Dan eher einer unter Vielen war, aufgrund der Rückverfolgung des damals verschickten Fotos von Liams aber eben persönlich belangt werden konnte: Für die anderen Mobber scheint ihr Verhalten da aber ebenso wenig zu weiteren Konsequenzen geführt haben wie nun für Brandons und Jeffs weitere Mitschüler.
Weiterhin stellte Dan hier zwar fest, dass Julie sich nicht aktiv am Mobbing beteiligte, aber dem doch passiv gegenüberstand: In diesem Fall war „der Neue“ Dan der Einzige, der sich offensiv gegen das Mobbing stellte – und damit alleine blieb.
Zum Einen fand ich es schade, dass er hier keine Sogwirkung erzielte und Julie oder auch weitere Mitschüler, die sich bisher ebenfalls bedeckt gehalten hatten, sich nicht aktiv Dans Widerstand anschlossen und zum Anderen fand ich es auch unglücklich, dass sich vor Dans Auftauchen eben niemand deutlich gegen das Mobbing ausgesprochen hatte. Klar mag hier auch die Angst mitgespielt zu haben, sich dadurch selbst als weiteres Mobbingopfer anzubieten, aber ich würde es doch eindrücklicher empfunden haben, wenn am Schluss gesagt worden wäre: „XYZ, der unser Verhalten von Anfang an echt scheisse fand, hatte doch recht. War wirklich scheisse.“ Aber so verströmte die Geschichte nun einen Hauch von „ach, der Neue zickt doch nur so rum, weil er keine Ahnung hat, worum es eigentlich geht“ und suggerierte so unterschwellig, dass Mobbing, sofern man es nur gut genug begründet, völlig legitim sei.

Dazu die Schwierigkeit, Dan einzuschätzen: Dem Leser wurde seine Vergangenheit nicht verheimlicht, aber die Details wurden erst nach und nach offengelegt, so dass man eingangs gar nicht weiss, in welchem Ausmass sich Dan tatsächlich schuldig gemacht hatte: Er macht sich allerdings immense Vorwürfe und dazu gibt es noch quasi eine zweite Stimme in seinem Kopf, die sein früheres Ich darstellt, welches immer an seiner Seite und zudem definitiv kein Sympathieträger ist: Ich war mir bis weit zum Schluss hin völlig unsicher, ob Dan so reflektiert, ob er traumatisiert ist, ob die dunkle Seite in ihm wieder ins Licht drängt oder ob er nicht einfach nur ernsthaft psychisch erkrankt sei und als Kranker zuvor hauptsächlich lediglich einen passenden Sündenbock abgegeben hatte.

Zweifelsohne fand ich es aber interessant, diese Geschichte quasi aus der Sicht eines (offenbar geläuterten) Täters zu lesen und grad aufgrund der Undurchsichtigkeit des Charakters Dan und seiner „zweiten Persönlichkeit“ empfand ich die Handlung doch auch als relativ spannend, da für mich völlig fraglich war, ob Dan dem Mobbing Brandons den Gar aus machen würde können, ob er irgendwann resignieren würde oder auch eben, ob sein eigenes früheres Verhaltensmuster später wieder durchbrechen und er sich Jeffs Aggressivität anschliessen würde.
Zudem wurde Brandon offensichtlich immer labiler und auch wütender; in ihm staute sich merklich mehr und mehr an, dass er absolut unberechenbar wurde: Hier konnte man quasi die Entwicklung zum (potentiellen) Amokläufer hin beobachten. Ich habe ihm letztlich alles zugetraut: sich umzubringen, Jeff zu töten, erweiterten Suizid zu begehen, die Schule in die Luft zu sprengen…

Und lässt einen die Geschichte nicht ohnehin schon ins Grübeln geraten, so bieten die eingangs erwähnten Fragen durchaus überlegenswerte Gedankenanstösse.
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Patty Blount: „Send“ – ein weiterer Roman Blounts, der dazu einlädt, sich auch über das reine Lesen hinaus ein wenig intensiver mit dem Inhalt auseinanderzusetzen!
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"Send" von Patty Blount, erschienen August 2012

1 Kommentar:

  1. Huhu!

    Eine sehr schöne Rezension, die einen guten Einblick in die Geschichte gewährt und auch nachvollziehbare Kritikpunkte äußert. Vom Thema her finde ich das Buch sehr interessant.

    Ich habe dich für den Shelfie-Buch-TAG getaggt und würde mich freuen, wenn du mitmachst! :-)

    LG,
    Mikka

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