Freitag, 16. Juni 2017

Stephen King & Richard Chizmar: "Gwendy's Button Box"

Gwendy Peterson, Schülerin aus Castle Rock, verbringt die Ferien vor dem Wechsel auf die Middle School damit, täglich die „Suicide Stairs“ zu den Klippen hinaufzulaufen und wieder hinabzusteigen, fest gewillt, ihre überflüssigen Pfunde mittels dieses Sportprogramms zu tilgen. Künftig will sie nicht länger aufgrund ihres Übergewichts gehänselt werden.
Ihre Bemühungen zeigen schon erste Erfolge, als sie auf dem obenliegenden Plateau angekommen, plötzlich von einem Fremden erwartet wird, der sich als Mister Farris vorstellt und eine Kästchen in ihre Obhut gibt, welches mit diversen Knöpfen, in teils unterschiedlichen Farben, welche sich drücken lassen, versehen ist.
Sie wird angehalten, künftig regelmässig einen bestimmten Knopf zu drücken, der das Kästchen eine kleine Schokoladenfigur ausspeien lässt, die himmlisch schmeckt, aber zugleich den weiteren Appetit hemmt, so dass Gwendy keine Lust auf einen möglichen Nachschlag verspüren wird. Ein anderer Hebel fördert jeweils eine alte, wertvolle Münze hervor.
Aber es gibt auch die geheimnisvollen Knöpfe: die pro Erdteil, und den Roten für das große Ganze, „was immer du willst, wann immer du willst; du wirst es wissen“, die nicht wiederholt betätigt werden können und von denen Gwendy bald anzunehmen beginnt, dass ihnen die Macht der Zerstörung innewohnt.

Fortan läuft alles fantastisch für Gwendy, aber die ominöse Box schleicht sich immer wieder in ihre Gedanken; Gwendy fühlt sich auf unangenehme Weise von der Box geleitet und bestimmt und ist sich immer noch unsicher, welches „große Ganze“ der rote Knopf denn eigentlich meint, obschon Mr Farris ihr gesagt hat, sie würde es wissen.
Eigentlich würde Gwendy das Wunschkästchen nur allzu gerne wieder abtreten…

Stephen King & Richard Chizmar: „Gwendy’s Button Box“ (“Gwendys Wunschkasten”*, auf Deutsch ab dem 09. Oktober erhältlich)


Zurück nach Castle Rock führt eine Zusammenarbeit von Stephen King und Richard Chizmar. Stephen King wird allen bekannt sein und Richard Chizmar ist vor Allem der Mann hinter „Cemetery Dance Publications“, einem kleinen aber feinen Verlag, der sich vor Allem auf Anthologien und limitierte Hardcover-Sonderausgaben von Geschichten bekannterer Horror-Autoren spezialisiert hat. Zudem gibt es auch noch das „Cemetery Dance“-Magazin, ebenfalls auf die düstereren Genres fokussiert.

Ich bin generell nicht so sehr von solcherlei Partnerarbeiten angetan; völlig anderes Genre, aber mit „Teacher“ habe ich hier einst ja schon ein Buch vorgestellt, bei dem zwei Autorinnen es meiner Meinung nach zusammen ziemlich versemmelt hatten.
Um es gleich vorwegzunehmen: Die damals geschilderten Eindrücke blitzten hier nicht wiederum auf; bei „Gwendy’s Button Box“ hatte ich nie das Gefühl, dass die linke Hand nicht gewusst hätte, wohin die rechte Hand die Handlung just führen wollte; da ging es ganz klar geradeaus – mir ging es dummerweise zu linear nach vorne.

„Gwendy’s Button Box“ beginnt im Sommer 1974, als Gwendy just 12 Jahre alt ist, und erstreckt sich über einen Zeitraum von zehn Jahren. Man mag es überraschend finden, dass diese Geschichte wiederum in Castle Rock spielt, denn „Needful Things“* endete für Castle Rock ja alles Andere als idyllisch, aber: Leland Gaunt eröffnet „Needful Things“ erst am 09. Oktober 1991 (was übrigens auch mit dem Datum der Erstveröffentlichung des Romans hinhaut; und übrigens: siehe oben, wann „Gwendy’s Button Box“ auf Deutsch erscheinen wird).
Sprich: Zwischen dem Ende von „Gwendy’s Button Box“ und dem Zuzug des verhängnisvollen Trödlers liegen also noch ein paar Jahre, so dass „Gwendy’s Button Box“ weder in einer Parallelwelt spielen muss noch dass die verhängnisvollen Geschehnisse in der kleinen Stadt plötzlich ungeschehen gemacht worden wären.

Als ursprüngliches „Cemetery Dance Publications“-Werk wird es auch den deutschen Wunschkasten Gwendys ebenso wie die originale „Gwendy’s Button Box“  gedruckt wohl nur in der Hardcover-Version und nicht (zusätzlich) als broschierte Ausgabe geben.
Das deutsche Hardcover soll übrigens lediglich 128 Seiten umfassen, während das Original mit 171 Seiten daherkommt und bei Amazon mit 21,99€ zu Buche schlägt, während die deutsche Ausgabe bereits für nur 10€ vorbestellbar ist.
Ich bin geneigt, in diesem Fall dazu zu raten, auf die deutsche Übersetzung zu warten; im Original gibt es zwar diverse, sehr schön gemachte Illustrationen und ich finde auch das US-amerikanische Cover viel besser gestaltet als das deutsche Buch, was lediglich optisch dem Wunschkasten nachempfunden ist. Aber sofern die Zeichnungen auch in der deutschen Ausgabe vorhanden sein sollten, bliebe nur noch das schönere Covermotiv als Pluspunkt des Originals übrig (ich gehe nun einfach davon aus, dass bei der Übersetzung ebenfalls nicht geschludert wird) und selbst, wenn „Gwendys Wunschkasten“ illustrationslos bliebe, müsste man halt abwägen, ob einem die Bildchen des Originals ggf. tatsächlich quasi genauso viel wert sind wie die Geschichte, die King und Chizmar erzählen. (Ende Juni erscheint „Gwendy’s Button Box“ bei Hodder & Stoughton, Kings britischem Hausverlag, und jene Ausgabe ist inzwischen mitunter unter derselben Produktseite auch bei Amazon vorbestellbar, für 15,49€; also aufgepasst, wenn man unbedingt die US-amerikanische Erstauflage von Cemetery Dance Publications haben wollen würde!)
Denn: Der Buchsatz des Originals ist furchtbar und erklärt wahrscheinlich auch, wieso der deutschen Version dem gegenüber quasi 50 Seiten fehlen; der Druck ist völlig verzerrt entzerrt; Qualität sieht eigentlich anders aus.

Zur Geschichte: Eher King-untypisch. Wenn dann eher in Richtung Dolores oder „Das Spiel“, ja, vor Allem „Das Spiel“, orientiert. Wenig Horror, viel (Psycho)Drama, etwas Mystery.
Mein erster Gedanke angesichts des Wunschkasten und vor Allem des einen ominösen Knopfes war: „Ah, Gwendy kann die Atombombe aktivieren?“ Und der Gedanke manifestierte sich immer mehr; die Geschichte spielt stark mit der typischen Fragestellung in Richtung: „Du dürftest einen Menschen töten, wen wählst du?“  Und zwar nicht ohne die Skepsis mitspielen zu lassen, ob man damit tatsächlich etwas zum Positiven ändert, oder nicht doch noch alles schlimmer machen würde. Kann man die Welt durch Zerstörung verbessern?
Gwendy ist ja nun anfangs erst 12 Jahre alt; klingt vermessen, eine solche Verantwortung in die Hände eines Kindes zu legen, aber wer könnte eine solche Verantwortung überhaupt tragen? Und dass ein Kind einfach mal den roten Knopf drücken könnte… nun ja, ich will mich jetzt nicht weiter darüber auslassen, wer sonst grad einen solchen allzu unberechenbaren roten Knopf betätigen könnte (wer das ist, wird vor zeitgeschichtlichem Hintergrund aber innert einer schulischen Diskussion klar erwähnt), aber „Gwendy’s Button Box“ idealer Erscheinungstermin hätte wohl vor den US-Wahlen gelegen.
Dabei beschränkt sich das Zögern nicht auf diesen Riesenknallknopf, sondern auch auf diese kleineren Knöpfe, wie sie auch aktuell schon ständig irgendwo auf der Welt betätigt werden: Wie sieht es da mit der Verantwortung aus; wer ist eigentlich für was verantwortlich? Und können Außenstehende Kriege beenden, Diktatoren besiegen etc., oder ist das nicht eher den Involvierten zuzuschreiben, die ihre Waffen einfach niederlegen, sich nicht mehr bestimmen lassen etc. und gilt das umgekehrt ebenso (nicht)?
„Gwendy’s Button Box“ ist ein sehr nachdenkliches und auch nachdenklich machendes Buch; was kann man selbst tatsächlich ändern, wo kann man Einfluss ausüben, wann macht man sich mitschuldig, wie geht man mit seiner Verantwortung um, wofür ist man selbst verantwortlich, zu welchem Ergebnis führt die eigene Aktivität und was passiert, wenn man einfach gar nichts tut; woran macht man sich dann mitschuldig, wofür ist man dann trotzdem oder exakt deswegen verantwortlich?

Das klingt definitiv so gar nicht nach Stephen King, oder? Wer King nur für die großen Horrorklassiker wie „Es“ und „Shining“ sehr schätzt, den wird „Gwendy’s Button Box“ vermutlich total langweilen.  Diese Erzählung ist klar mehr Kant und Philosophieunterricht. Ich habe sie sehr gemocht und sehr lange darüber nachgedacht – und bin mit dem Drübernachdenken wohl noch immer nicht fertig.  
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Stephen King & Richard Chizmar: „Gwendy’s Button Box“ – wow, ich hatte definitiv eher Grusel als Intellekt erwartet! ;)
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„Gwendy’s Button Box“ von Stephen King und Richard Chizmar, erschienen am 16.05.2017 (deutsche Ausgabe „Der Wunschkasten“*: ab dem 09.10.2017)
Amazon: das US-eBook ist aktuell nicht verfügbar / gebundene Ausgabe (21,99€ [171 Seiten])* (Achtung: am 27.06. erscheint die britische Ausgabe der Novella bei Hodder & Stoughton, die teilweise unter der verlinkten Produktadresse für aktuell 15,49€ offeriert wird; das ist nicht die originale US-Erstauflage, auf die ich meinen Beitrag beziehe, und wer doch lieber die US-Version hätte, sollte eben unbedingt darauf achten, die von Cemetery Dance Publications verlegte Version zu erhaschen!) 

2 Kommentare:

  1. Ein überzeugende Vorstellung, mich hast du gepackt. Ich hab mir das Buch auf meine Warteschlange gelegt.

    Außerdem möchte ich gern deine Rezension bei meiner nächsten Blogwanderung verlinken.

    Grüße
    Daniela

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